Auch wenn ein Teil der Linden inzwischen gefällt sind, bleibt doch richtig, was Herr Schneider schreibt – und ein Teil der Bäme scheint dauerhaft erhalten erhalten zu bleiben.

Bäume geraten unter die Räder

Appell gegen die Fällung der Lindenallee an der Kreisstraße

Von Hans C. Schneider

"Bäume leben halt nicht für die Ewigkeit", meint Dieter Uhlisch vom Gelnhausener Amt für Straßen- und Verkehrswesen. Er soll von Berufs wegen dafür sorgen, dass bis zum Frühjahr 2003 entlang der Kaiserstraße von Friedberg nach Bad Nauheim alle 210 Linden geschlagen werden. Wegen der Verkehrssicherheit.

Mit diesem lapidaren Satz könnte auch der Enkel die Großmutter erschlagen. Nein, Bäume leben nicht für die Ewigkeit und wachsen auch nicht in den Himmel. Die zum Tod verurteilten Linden sind auch erst achtzig Jahre alt, doch haben Linden eine längere Lebenserwartung als der Mensch. Wenn er sie am Leben läßt. Das Zitat zeigt jedoch die typische Haltung unserer Autogesellschaft. Frühere Generationen hatten ein anderes Verhältnis zum Baum, schon die Sprichworte zeigen das.

Von Walther von der Vogelweide bis Heinrich Heine haben Dichter die Linde besungen, in Sagen und Märchen spielt sie eine Rolle, sie findet sich in Namen von Menschen und Orten. Die Germanen fertigten ihre Schilde aus dem Lindenholz, die Linde liefert Material zum Basteln und Schnitzen, aus Lindenblüten brauten noch unsere Eltern Tee. Die Linde war jahrhundertelang Mittelpunkt des Dorfes, sie war der Ort für Tanz und fürs Gericht. Alleen zeigten den Weg zu anderen bei jeder Witterung.

Dann kann das Auto. Ein Fortbewegungsmittel, das sich in den letzten hundert Jahren nicht wesentlich verbessert hat. Mit den vier Rädern frisst es das Land, sein Motor vergiftet die Luft, und jedes Jahr verwundet es allein in diesem Land achttausend Menschen tödlich.

Doch als der erste Mensch sein Vehikel an einem Baum demolierte, gab er dem die Schuld. Damals begann der Krieg der Autofahrer gegen die Bäume, gerechtfertigt aus einer Ideologie, die stärker ist als jeder andere Glaube: Freie Fahrt, denn Geschwindigkeit ist Leben! Diesem Glaubensartikel bringen wir unzählige Opfer der verschiedenen Art und Preislage. Da sind die 210 Linden an der K 13 geradezu ein Klacks.

Bis zun Ende der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts ging der Kampf Auto gegen Baum stets zu Ungunsten der Bäume aus. In den Siebzigerjahren dachten manche Menschen um, und das Auto schien auf dem Rückzug. Doch während der Achtzigerjahre kehrte die Bevölkerung zu ihrem alten Gott zurück, und der verlangt immer neue Brandopfer. Jetzt auch noch die alten Linden zwischen Bad Nauheim und Friedberg.

Der Vorrang des Autos wird von seinen Hohepriestern verkündet als "Verkehrssicherheit". Und diese erfordert angeblich nun eine drastische Lösung. Das bedeutet Baum ab! Und: Straße frei! Die Radfahrer bekommen für ihr Stillhalten einen breiteren Radweg. Doch allein dafür müsste man keine Bäume ausreißen. Alles für den schnellen Autofahrer, der nur noch mit dem Pedal denkt oder sogar per Automatik. Damit der einige Sekunden früher an seinem Ziel ist, der Sportklinik oder dem Wellenbad oder dem Kino.

Dem motorisierten notorischen Bewegungsdrang stellen sich die Bäume naturgemäß entgegen, darum müssen sie weiter an den Rand. Das heisst aber, viele Linden müssen sterben, die Kreisstraße wird zur Schnellstraße, damit wiederum neue Bäume gepflanzt werden. Im Namen all derer, die am Auto verdienen. Denn siehe: dafür ist Geld da! In einer Zeit, da die Verwaltungen jammern. In der die Sozialhilfe gekürzt wird, die Kürzer sogar Prämien für ihre Hartherzigkeit bekommen.

Die Kosten für die Aktion Lindenallee werden auf 928 000 Mark geschätzt. Mit dieser Beinahe-Million ließe sich manches anders hier und in der Nachbarstadt verbessern. Doch denkt eine Autogesellschaft freilich nur an die Verbesserung der Straßen. Und dass noch mehr Autos noch schneller zu ihrem Ziel kommen. Damit geraten nicht nur Bäume unter die Räder.

Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht: Das Auto gibt es seit 110 Jahren, Bäume länger. Die Menschen werden Bäume mehr und länger brauchen als das Auto. Oder in späteren Generationen wird es von uns heißen: Sie haben die Wüste vor lauter Sandkörnern nicht gesehen.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstveröffentlichung als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 17.02.2001. HTML-Umwandlung 2001-02-28 RHR. Zuletzt bearbeitet 2002-05-08.