Liebe Verkehrspolitiker: Schafft die Radwegebenutzungspflicht ab.
Ja, sie stört immer noch, obwohl es diese merkwürdige Reform 1998 mit der Auswirkung letztes Jahr gab.
Es geht hier nicht um den Sinn von Radwegen -- das ist eine andere Diskussion. Aber die Benutzungspflicht ist meines Erachtens weder wünschenswert noch überhaupt sinnvoll begründbar. Sie schafft nur Probleme.
Ich kenne die Diskussion und ihre praktischen Entsprechungen inzwischen aus verschiedenen Perspektiven; diese möchte ich im Folgenden zeigen.
Aus Radfahrersicht ist mein Problem...
... daß ich mit dem Hinweis auf meine eigene Sicherheit gezwungen werde Sonderwege zu benutzen, die nach allen mir bekannten Untersuchungen zum Thema mein Unfallrisiko erhöhen, statt es wie versprochen zu senken. Dabei werde ich auf Wege gescheucht, die, wären sie Teil der Fahrbahn für Autos, vor Jahrzehnten schon wegen Unzumutbarkeit saniert oder gesperrt worden wären. Auch bei neu angelegten Radwegen werde ich mit Pflaster beglückt, damit ich durch den maximierten Rollwiderstand meine körperliche Fitneß erhöhe; die sanften Vibrationen der (doch typischerweise noch immer ungefederten) Räder auf den Steinen ersetzen die Massage und tragen dadurch, daß einem die Benutzung wirklich leichtlaufender Hochdruckreifen nachhaltig vergällt wird noch zusätzlich zur Fitneß bei. Ausserdem wird Reaktionsschnelligkeit und Geschicklichkeit trainiert, denn viele Radwege sind so schmal, so schlecht trassiert und vor allem mit so vielen gefährlichen Masten, Pfosten und Schildern gespickt (von haltenden und parkenden Autos ganz zu schweigen), daß eine Benutzung mit einer höheren als Fußgängergeschwindigkeit den Adrenalinspiegel in ansehnliche Höhen treibt. Stelle ich fest, daß ein Radweg (z.B. wegen vieler Scherben) unbenutzbar ist und fahre auf der Fahrbahn, dann weisen mich viele wohlmeinende, um meine Sicherheit besorgte Autofahrer durch hupen und heftiges gestikulieren darauf hin, daß ich mich in große Gefahr begebe, wenn ich in ihr Revier eindringe, anstatt in meinem Reservat zu bleiben. Aber nicht immer ist klar, ob sie die Gefahr dabei von sich selbst oder den anderen Autofahrern ausgehen sehen.
Aus Alltagsradfahrersicht ist speziell mein Problem...
... daß es mir nicht so sehr darauf ankommt, um des Fahrradfahrens willen Rad zu fahren, sondern darauf, von A nach B zu kommen. In den allermeisten Fällen ist die schnellste Verbindung eine normale Straße; ist sie vielbefahren, so gibt es eine merkwürdige Allianz von Befürwortern von Fahrradfahrersonderwegen an dieser Straße:
Die Straßenverkehrsbehörde: Sie führt die ihrer Ansicht nach überwältigende Sicherheit der Radfahrersonderwege in's Feld (und kann dabei auf einen reichen Hintergrund an juristischer Literatur bauen, die die Sicherheit von Radwegen dadurch belegt sieht, daß sie schließlich sonst nicht benutzungspflichtig wären...) Sie hat ein massives Interesse daran die störenden Radfahrer von den Fahrbahnen wegzukriegen (deshalb heißt es ja wohl auch Rad-weg). Das dahinterstehende Ideal, dem jeder im Verkehrssektor aktive Ingenieur huldigt, ist die "verkehrliche Leistungsfähigkeit". Gemeint ist die Möglichkeit maximal viele Autos pro Stunde über eine gegebene Strecke zu bekommen; kein Wunder daß solche Fremdkörper wie Fahrräder dabei stören.
Die Radfahrerverbände (allen voran der ADFC): Sie argumentieren tief aus dem hohlen Bauch des subjektiven Sicherheitsgefühls heraus und lassen dabei auch mal einen weniger idealen Radweg als Fortschritt durchgehen. Denn man will sehen, daß etwas für die Fahrradfahrer getan wird, das zeigt der eigenen Klientel, daß man etwas tut, es zeigt einem selbst, daß man sich nicht völlig vergeblich abmüht, und es wischt ein ganz klein wenig den Autofahrern auch einen aus, wenn man ihnen ein paar wertvolle Quadratmeter innerstädtischer Verkehrsfläche abtrotzt. Radwege sind politisch (wenn auch meist nicht in der gewünschten Perfektion) durchsetzbar, wirklich spürbare Verkehrsbeschränkungen für Kfz (die die Verkehrssicherheit der Radfahrer wahrscheinlich wirklich erhöhen würden) nicht. Wie oft hört man in Diskussionen mit ADFC-Aktiven, daß selbstverständlich viele von den Radwegen da draußen schlimmer sind als gar keine Radwege, daß aber die Radwege die sie fordern (und durchsetzen, davon sind sie felsenfest überzeugt) "gute" Radwege sind. Und wenn dann nach Beispielen für solche "guten" Radwege fragt (und versucht diese auch zu besichtigen), dann findet man viel zu oft normale (also schlechte) Radwege. Der "gute" Radweg hat etwas von einem Phantom.
Die Autofahrerlobby: Die Autofahrer wissen zum größten Teil gaaaaaanz genau, daß Fahrradfahren uuuuuunheimlich gefährlich ist, vor allem, wenn der Radfahrer auf der Fahrbahn fährt -- das entspricht zwar leider nicht den Fakten, aber wer läßt sich schon durch so ein paar simple Fakten von seinen mühsam erworbenen Vorurteilen abbringen? Man hat Angst bei den üblichen (gesellschaftlich augenscheinlich tolerierten) Verkehrsregelübertretungen mal versehentlich einen Radfahrer umzunieten -- da sollte der doch besser nicht da rumfahren -- und überhaupt halten die Radfahrer doch den ganzen Verkehr auf.
Fahrradfreundliche Politiker: Ähnlich wie die Radfahrerverbände, aber mit noch stärkerer Motivation zu Ergebnissen, die man in weniger als vier Jahren sehen kann (augenfällig muß es sein, nicht sinnvoll).
Aus Urlaubsradfahrersicht ist speziell mein Problem...
... daß ich auf überörtlichen Radwegen zuverläßig jede kleinste Unebenheit der Landschaft mitmachen darf, mich mitsamt meinem Gepäck also viele kleine Steigungen raufzuschaffen das Vergnügen habe, die die Fahrbahn der Straße nicht kennt; daß gerade überörtliche straßenbegleitende Radwege eine merkwürdige Tendenz dazu haben irgendwann in die Pampa abzuknicken, wo man dann steht und nicht mehr weiter weiß. Nach ein, zwei Kilomteren Rückweg findet sich dann auch eine Lücke in der Leitplanke, an der man auf die Fahrbahn wechseln kann.
Im Ort glänzt der gewiefte Radverkehrsplaner meist mit kreativer Beschilderung; während die (eindeutig und ausreichend groß beschilderte) Kfz-Strecke vor allem in Norddeutschland gerne mit einem "für Fahrräder verboten"-Schild garniert wird, bekommt der nicht ortskundige Radfahrer ein spannendes adventure gratis geliefert: Wird der beschilderte Weg wirklich weiter führen? Zeigt das Schild immer in die Wohnsiedlung, oder hat es ein Witzbold rumgedreht? Wie langsam muß man fahren, damit man den ausgezeichnet getarnten (hübscher Busch da vor ihrem Wegweiser) Hinweis auf den vierzig cm breiten Weg durch die Kleingartenanlage nicht verpaßt?
Aus Sonntagsradfahrersicht gibt es kein großes Problem...
... aber eine Abschaffung der Radwegebenutzungspflicht würde mich auch nicht stören. Schließlich kann ich die Radwege ja weiterhin nutzen -- es soll ja die Verpflichtung zu ihrer Benutzung abgeschafft werden, nicht die Wege selbst. Und es wird wohl sogar noch etwas gemütlicher, weil die Radfahrer, die es auch Sonntags eilig haben und die sich nicht vor dem fahren auf der Fahrbahn fürchten, dies jetzt auch legal tun können und nicht mehr die Langsamen auf den Radwegen drängeln.
Aus verkehrswissenschaftlicher Sicht ist mein Problem...
... daß der Stand von Wissenschaft und Forschung sich in einem deprimierenden Ausmaß nicht im Verwaltungshandeln widerspiegelt; daß ein inhärenter Widerspruch zwischen dem erklärten politischen Ziel das Fahrradfahren zu fördern und der Situation draußen auf den Straßen jeden halbwegs Fachkundigen förmlich anspringt -- und das nicht nur bei bestehenden (Rad-) Verkehrsanlagen, sondern auch bei den meisten neugebauten; daß eine Gleichsetzung von "Fahrradförderung" und "Radwegebau" in den Köpfen einbetoniert ist, die auch bei gutem Willen aller Beteiligten zu schlechten Ergebnissen führt.
Aus Sicht der Leser der newsgroup de.rec.fahrrad ist mein Problem...
... daß ich echte Schwierigkeiten habe zu erklären, was an dem zusehends beliebter werdenden Spruch: "Als Radfahrer habe ich die Erfahrung gemacht: Es gibt die Autopartei, die Autopartei, die Autopartei und die Dreiliterautopartei." falsch sein soll. Für die Belange der Alltagsradfahrer scheint sich effektiv keine Partei (und eigentlich auch kein Verband -- der ADFC scheint vollauf damit beschäftigt zu sein, möglichst viele Sonntagsfahrer als breite Basis zu gewinnen) mehr einzusetzen.
Aus grüner Sicht ist mein Problem...
... daß ich eine unangenehme Kluft zwischen dem öffentlichen Bild, die Grünen seien die parteigewordene Lobby der Radfahrer (das nicht zuletzt wohl auch weitgehend grüner Selbsteinschätzung entspricht) und dem grünen politischen Handeln sehe, die sich einerseits aus Unkenntnis aktueller verkehrswissenschaftlicher Erkenntnisse und andererseits einer weitverbreiteten irrtümlichen Gleichsetzung der eigenen Sonntagsradfahrerperspektive mit den Interessen "der Radfahrer" speist. Und so erntet man Radwege, wo Förderung des Fahrradverkehrs gesät werden sollte.
Radwege sind ursprünglich entstanden, weil Fahrradfahrer bessere Wege haben wollten, um besser voranzukommen. Sie werden aber schon lange als Mittel genutzt um Fahrradfahrer von den Fahrbahnen runterzukriegen, damit sie den Autos dort nicht im Weg rumstehen. Dabei wird erzählt sie seien sicher, ohne daß dies m.W. jemals richtig belegt wurde. Es ist augenscheinlich extrem verlockend dem subjektiven Sicherheitsgefühl und dem vorgeblich augenfälligen zu trauen, anstatt den empirisch belegbaren Tatsachen ins Auge zu sehen.
Kein Radfahrer würde durch eine Abschaffung der Radwegebenutzungspflicht geschädigt. Viele besonders schwere Fahrradunfälle könnten aller Wahrscheinlichkeit nach vermieden werden -- von vermiedenem Schmerz und Leid abgesehen auch eine sinnvolle Einsparung volkswirtschaftlicher Kosten.