"10 000 Leute wären prima"

Radler wollen stetig auf sich aufmerksam machen

Von Matthias Bartsch

Aus der Frankfurter Rundschau vom 1998-08-01.

Wann wird eine "unkritische" Masse "kritisch"? Wenn sich die Polizei für sie interessiert? Kernphysiker können sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben. Möglicherweise aber rund 40 Fahrradfahrer, die sich gestern an der Konstablerwache trafen. "Critical mass Frankfurt", steht auf den Flugblättern, die sie verteilen. Und ein ganz kleines bißchen, meinen sie, sei die Kernexplosion ja auch schon eingetreten. Denn einen Monat zuvor seien sie nur 20 gewesen, "und kein Mensch hat sich für uns interessiert".

Dieses Mal aber stehen fünf Herren in Grün am Rand, sprechen in Funkgeräte, gehen auf die Radler zu. Verantwortliche? "Gibt's nicht." Organisatoren? "Nee, auch nicht." "Wir sind einfach ein bunter Haufen von Leuten, die durch die Stadt fahren wollen", steht auf dem Flugblatt, das die Polizisten aber schon vorher hatten: "Das war in der Hauspost."

Nun, ein bißchen organisiert ist das schon, gibt ein Teilnehmer zu, der sich "Stefan" nennt. Und ein bißchen abgeguckt. "In San Francisco gibt's das seit Jahren. Da hat auch alles ganz klein angefangen, aber irgendwann waren vier- bis fünftausend Leute unterwegs." In Berlin seien es immerhin schon einige hundert. Und 40 Teilnehmer sei für das zweite Mal in Frankfurt auch nicht schlecht.

"Also eine Demonstration?" fragt der Polizist und wittert Verwertbares für seinen Bericht. "Nein, nein, keine Transparente, keine Parolen, keine Forderungen." Nur ein Treffen. "Blockiert den Verkehr nicht unnötig", steht auf dem Flugblatt, und: "Befolgt Polizeieinweisungen!"

Doch die Polizei rückt ab und Stefan gibt zu, daß man "natürlich auch zum Nachdenken anregen will über die Innenstadt, die total vom Autoverkehr dominiert ist". Und "zeigen, daß Radfahren auch im Auto-Chaos Spaß machen kann." Denn ab 16 Radlern sei es zum Beispiel erlaubt, paarweise nebeneinander zu fahren, sagt Rainer, ein anderer Teilnehmer.

Und wann ist sie erreicht, die "kritische Masse?" "10 000 Leute wären prima", meint Rainer. Und ersehnt eine Kettenreaktion für die nächsten Treffen, an jedem letzten Freitag im Monat, 16 Uhr. Denn von Radlern überflutet, meint er, werde die Straße "für kurze Zeit wieder zu einem öffentlichen, sozialen Lebensraum".

© Frankfurter Rundschau 1998


Zuletzt aktualisiert: 25. September 1998 (1998-09-25)
RHR