Schmalspursport auf Vollfettpuschen

Als Fahrradreisender in den Alpen war man lange Jahre Teil einer vernachlässigbaren Minderheit; auch heute noch gilt als Exot, wer zwei Packtaschen ans Rennrad hängt und sich den Herausforderungen steiler Passrampen stellt. Doch abseits der asphaltierten Hauptrouten nimmt der muskelgetriebene Zweiradverkehr in jüngster Zeit stetig zu: "Transalp" heißt das Zauberwort, von dem sich darbende Tourismusmanager aller Alpenländer eine Belebung der sommerlichen Konjunktur erhoffen. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Erkenntnis, dass sich der Modeartikel Mountainbike nicht nur zum Posieren vorm Eiscafé, sondern durchaus auch zum Befahren alpiner Schotterpisten eignet. Und wenn man davon ein, zwei Dutzend über eine Woche verteilt, kann man bei geschickter Routenwahl den kompletten Alpenhauptkamm überqueren. Transalp eben.

Hier so etwas wie einen Trend zu konstatieren wäre sicherlich übertrieben; immerhin kommt man beim Radfahren bergauf schon mal ins Schwitzen, weshalb Transalp-Touren nie die Beliebtheit etwa alpiner Winter"sport"arten erreichen werden. Dennoch: Die Zahl meist männlicher Pedalritter auf breiten Stollenreifen wächst zwischen Bodensee und Gardasee unübersehbar, auf bekannteren Strecken herrscht in der Hauptsaison schon mal Gedränge wie auf der Zeil.

Schaut man sich die Szene aus der Nähe an, so stellt man allerdings schnell fest, dass sich zwischen vereinzelten Sportlern eine Menge Spinner tummeln. So war es etwa seit der Frühzeit des alpinen Tourismus gute Sitte, auf Mehrtageswanderungen den Schlafsack sowie alle Dinge des täglichen Bedarfs mitzuführen. Für Herrn Mountainbiker gilt das nicht: Er erwartet, abends auf der Hütte adäquat verköstigt und mit Bettwäsche versorgt zu werden. Dass all das Material wahrscheinlich energieaufwendig und nicht eben umweltfreundlich per Jeep in höhere Regionen gelangt, interessiert ihn herzlich wenig, Hauptsache, er hat ein paar Pfund Gewicht gespart.

Mitunter geht der Hang zur Leichtigkeit so weit, dass in einschlägigen Foren empfohlen wird, Werkzeug und Ersatzteile daheim zu lassen – unterwegs finde sich immer ein schwer bepackter Depp, den man anschnorren könne. Und in gewissen Kreisen scheint es cool zu sein, die Digitalwaage noch zum Trikotkauf mitzunehmen statt konditionellen Defiziten mit Mäßigung beim Aprèsbike-Weißbierkonsum zu begegnen.

Nun könnte man meinen, dass es beim Radfahren, anders als beim Wandern, auf einige hundert Gramm mehr Gepäck nicht ankommt; schließlich ist dieses bequem in Packtaschen untergebracht und drückt nicht via Rucksack auf Schultern, Nacken und Rücken. Weit gefehlt, es drückt! Herr Mountainbiker trägt nämlich Rucksack, weil sich an seinem vollgefederten Boliden gar keine Packtaschen befestigen lassen. Die Vollfederung braucht er aber nicht nur, weil der Rucksack das Radfahren so unbequem macht, sondern er erhofft sich zudem deutliche Zeitvorteile auf holprigen Abfahrten, die ihm wiederum gut zupass kommen, um den erhöhten Wartungsaufwand der Federung zu kompensieren. Irgendwie clever ...

Und wo fährt man so als breitbereifter Gewichtsfetischist? Am liebsten sanft bergauf und steil bergab, wie es entlarvend in Uli Stancius Standardwerk "Transalp" heißt. Das mit "bitte keine Anstrengung, bevor ich bei der Abfahrt die Sau rauslasse" zu übersetzen täte wohl dem meist besonnenen Verfasser Unrecht. Es spiegelt aber durchaus alpine Realität wider, wie jeder weiß, der schon mal eine Horde bunter Gestalten auf ebensolchen Rädern, pardon: Bikes, an der Bergstation aus der Gondel steigen und fernab aller Wege talwärts donnern sah.

Das ist die konsequente Weiterentwicklung des modernen Skizirkus: Weshalb sollte man die flächendeckende Zerstörung der sensiblen Bergwelt auf die Wintermonate beschränken, wenn sich damit auch sommers ein schneller Euro machen lässt?

Die weit verbreitete Unsitte derartiger Mitfahrgelegenheiten wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die Zurechnungsfähigkeit der Anbieter und die Selbstachtung der Nutznießer, sondern ruiniert nebenbei auch den Ruf seriöser Bergsportler auf zwei Reifen – vermehrtes Aufkommen von Verbotsschildern auf an sich gut fahrbaren Pisten ist nur eine logische Folge solcher Fehlentwicklungen.

Können also diese Jammerlappen, die Berge herunterrollen, welche sie nicht zuvor aus eigener Kraft erreicht haben, sich ihren Nervenkitzel nicht einfach beim Bungeejumping holen, ihre radsportlichen Ambitionen auf die Donauroute flussabwärts fokussieren und die Berge denen überlassen, die diesen mit einem Minimum an Respekt begegnen?

© Christian Wöhrl.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstveröffentlichung in de.rec.fahrrad 2002-05-30. HTML-Umwandlung 2002-06-07 RHR. Zuletzt bearbeitet 2002-06-07.